Biblischer Hintergrund

Der Jom Kippur ist der biblische „Versöhnungstag“. Dieser wird im Spätsommer (September/Oktober), am 10. Tischrei begangen, zwischen dem Neujahrsfest (Rosch haSchanna) und dem Laubhüttenfest. Das Wort Kippur kommt vom Hebräischen „kapper“ כפר was „sühnen“ bedeutet. Jom heißt nicht anderes als „Tag“.

Der Jom Kippur wird in 3. Mo 23,26-32 kurz beschrieben. Es ist es verboten zu arbeiten und man soll sich vor Gott demütigen. Eine ausführliche  Beschreibung findet sich in 3. Mo 16,2-34. Hier wird erklärt, dass es die Aufgabe des Hohepriester ist, Sühne für das Volk vor Gott zu erwirken. Er soll dazu zwei Böcke nehmen. Der eine dient als Sündopfer für das Volk. Sein Blut wird in Ysop getaucht und über den Deckel der Bundeslade (gr. „hilasterion“) gesprengt. Dies ist der Ort wo Gottes Herrlichkeit auf Erden weilt. Dies liegt im Innern des Allerheiligsten der Stiftshütte, bzw. später im Tempel. Nur der Hohepriester hat den Zugang zum Allerheiligsten und ausschließlich am Jom Kippur. Der Priester ist auch dazu bestimmt das Räucherwerk in das Allerheiligste zu bringen, um den Räucheraltar zu bedienen. Der Jom Kippur war der einzige Tag an dem sich die Tores des Tempels öffneten und das Volk einen Blick in das Innerste erheischen konnte. Gott machte sich an diesem Tag seinem Volk unmittelbar nahbar.

Der andere Bock wurde als Sündenbock in die Wüste geschickt. Dabei ist nicht ganz klar, ob er Asalsel genannt wurde, oder zu Asalsel in die Wüste geschickt wurde (ein Ort nach dem Talmud oder ein Dämon nach dem Henochbuch). Dieser hatte einen purpurnen Faden umgebunden, den der Priester in der Hand hielt. Wenn Gott das Opfer gnädig annahm, färbte sich der Faden auf übernatürliche Weise weiß. Diese beiden Böcke wurden ausgelost mit einem Los, dass der Hohepriester in seinem Gewandbausch hatte. Anschließend wurde die Sünde des Volkes durch Handauflegung auf den Bock übertragen. Dieser wurde dann in die Wüste geschickt und trug die Sünden des Volkes mit sich hinweg.

Die Hohepriester wurden in sog. Wachen eingeteilt und mussten für eine bestimmte Zeit den Dienst am Heiligtum verrichten. Jede priesterliche Familie aus den Nachfahren Aarons sollte einmal Dienst im Heiligtum getan haben. Auch Zacharias hatte eine solche Wache inne. Das Lukasevangelium beschreibt, wie Zacharias, der Vater von Johannes dem Täufer, in das Allerheiligste zum räuchern des Alters gehen wollte. Er begegnete dort dem Engel und empfängt die Botschaft der Geburt seines Sohnes, was ihn sprachlos lässt (Lk 1,5-25). Um solche Vorfälle vorzubeugen und bei eventueller Ohnmacht den Priester aus dem Allerheiligsten holen zu können, wurde ein Seil um den Priester befestigt, sodass man ihn wieder herausziehen konnte, ohne das Allerheiligste betreten zu müssen. Die Vorbereitung des Priesters erforderte lange Vorbereitungszeit und extrem hohe Reinheit. Allein das Anziehen und Entkleiden dauerte Stunden und selbst der Gang zur Toilette wurde kompliziert. So wurden die ganze Nacht Bibeltexte dem Priester vorgelesen, damit er keine unreine Gedanken oder Träume haben konnte. Um Sühne für sich und seine Familie zu erwirken, brachte der Hohepriester einen Stier als Opfer dar. Der Talmud widmet dem Jom Kippur und wie er zur Zeit des zweiten Tempels begangen wurde das ganze Talmudtrakt „Joma“.

 

Wie der Tag heute begangen wird

Seit der Zerstörung des Tempels erfuhr das Judentum einen großen Wandel und aus dem pharisäischen Judentum wurde das rabbinische Judentum. Plötzlich waren durch den Wegfall des Tempels auch die Opfer nicht mehr möglich, so wurden die Opfer durch Gebete ersetzt. Dies ist ein prägendes Fundament im rabbinischem Judentum. Ein einziges Opfer wird jedoch am Jom Kippur dargebracht. In religiösen Familien schlachtet der Familienvater einen Hahn und wedelt ihn über die Köpfe der Familie. Dessen Blut soll Sühne für die Sünden erwirken (genannt: Kapparot). Dann geht man in die Synagoge zu beten. Man bittet Gott um Vergebung für die eigenen Sünden des vergangenen Jahres. Dabei fastet man mindestens 24 Stunden, isst nichts und trinkt auch nichts. Kinder, Kranke und schwangere Frauen sind davon ausgenommen. Da es in Israel im Spätsommer immer noch ziemlich heiß ist, ist dieser Tag auch sehr anstrengend.

Nach der Tradition öffnet Gott am Jom Kippur das Buch des Lebens, streicht die Sünden und schreibt die Menschen neu ins Buch des Lebens ein. Darum sagt man „gmar chatima towa“ – „Möge deine Einschreibung (ins Buch des Lebens) abgeschlossen werden“. Man bittet auch seine Mitmenschen und Familienangehörigen um Vergebung, sodass das Zwischenmenschliche wiederhergestellt wird. Während der Jom Kippur zu Zeit der Bibel eher eine kollektives Sühneereignis war, so ist es heute eher ein individuelles Sühneereignis. Aber durch das gemeinsame Fasten und Gebet in der Synagoge bleibt dennoch der kollektive Kontext verankert. Da Jom Kippur im jüd. Kalender direkt nach dem jüdischen Neujahr (Rosch haSchanna) kommt, so wird das Jahr gleich mit einem geistlichen Neuanfang und der Sündenvergebung für das alte Jahr gestartet. Das ist besser als das neue Jahr mit tausend guter Vorsätze zu beginnen.

Heute fastet man über 24 Stunden, die meisten Menschen besuchen dabei eine Synagoge. Der Jom Kippur ist einer der höchsten Feiertage und damit ist die Synagoge voll wie die Kirchen zu Weihnachten. Manche fromme Juden verbringen sogar die ganze Nacht in der Synagoge, man kann zu jeder Uhrzeit reingehen und beten, es gibt die ganze Zeit Gebete und Gesänge. Ca. 80% der jüd. Einwohner Israels halten den Jom Kippur. Da auch das Benutzen von Verkehrsmitteln, elektronischen Geräten und so weiter, wie am Shabbat, verboten ist, für das zu ungewöhnlichen Ereignissen. Man kann auf den Straßen spazieren gehen und die Kinder spielen. Denn es fährt kein Auto, nur der Krankenwagen ist in Notfällen unterwegs.

Man sieht also, dass der Jom Kippur sehr ernst genommen wird und sich tief in das religiöse Bewusstsein des Volkes Israels eingegraben hat. Ja, er wird auch von vielen sekularen Israelis begangen. Das zeigt auch die Ernsthaftigkeit des Volkes gegenüber ihren Sünden vor Gott. Geistlich gesehen bewirkt der Jom Kippur einen Neuanfang zwischen Gott und dem Menschen, er herrscht daruch eine ganz besondere Atmosphäre an diesem Tag in Israel. Darum ist es auch von so großer Tagik, als 1973 der Jom Kippur Krieg anfing und die arabischen Großmächte das völlig unvorbereitete Israel angriffen, dessen Bevölkerung gerade 24 Stunden Fasten hinter sich hatte. Aber Gott hat seine schützende Hand über Israel gehalten und sie haben den Krieg gewonnen.

Hat der Jom Kippur den Buß- und Bettag beeinflusst?

Zwischen Jom Kippur und dem Buß- und Bettag gibt es inhaltliche Gemeinsamkeiten. Es soll für die Sünden des Einzelnen und des Volkes gebetet werden. Der Termin des Buß- und Bettages ist allerdings im November, damit wesentlich später. Der Buß- und Bettag hat auch bei weitem nicht den Stellenwert wie der Jom Kippur. Man sieht das auch daran, dass er nur noch in Sachsen als einziges Bundesland begangen wird. Aber gerade in diesen Zeiten ist das Gebet für unser Volk dringend notwendig.

Ob allerdings der moderne Jom Kippur den Buß- und Bettag beeinflusst hat, ist historisch nicht zu klären. Wahrscheinlich hat man den Buß- und Bettag in Anlehnung an den biblischen Versöhnugnstag eingeführt. An dieser Stelle muss man auf den großen Unterschied zwischen Juden- und Christentum hinweisen. Während der Jom Kippur immer wieder begangen wird und die Sünden des Volkes immer wieder gesühnt werden müssen, so ist im Christentum das Sühnegeschehen abgeschlossen. Durch den Tod Jesu Christi am Kreuz ist ein und für alle mal die Sühneleistung Gott gegenüber erfüllt, eine Wiederholung des Ereignisses ist demnach nicht nötig und auch nicht möglich. Christus starb für die Sünden der ganzen Menschheit und die Einzelperson muss nur dieses Gnadengeschenk annehmen, was durch die Taufe und das Bekenntnis geschieht. Röm 3,25: „Ihn hat Gott zum Sühnopfer bestimmt, [das wirksam wird] durch den Glauben an sein Blut, um seine Gerechtigkeit zu erweisen, weil er die Sünden ungestraft ließ, die zuvor geschehen waren“.

Schofar und TalmudDas macht eigentlich den Jom Kippur überflüssig. Nach dem Talmud hat sogar Gott selbst das Jom Kippur-Opfer nicht mehr angenommen. Zum einen funktionierte das Los, dass der Priester aus seiner Tasche zog, um den Sündenbock auszulosen, nicht mehr. Ein anderes Ereignis war, dass der Faden, den der Sündenbock um sich trug, als er in die Wüste geschickt wurde, nicht mehr weiß färbte. Außerdem ging das Westlicht (ewige Licht) immer wieder aus und die Türen des Tempels öffneten sich von selbst und ließen sich nicht schließen. Dies geschah vierzig Jahre vor der Zerstörung des Tempels bis zu dessen Zerstörung, 70 n.Chr. (Quelle: babylon. Talmud, Traktat Joma 89b). Ein Hinweis darauf, dass mit der Kreuzigung Jeschuas Gott das Sündopfer nicht mehr annahm?

Wie begehen messianische Juden den Jom Kippur?

Eine häufige Frage ist, wie messianische Juden den Jom Kippur begehen. Denn, da sie an Jeschua (Jesus) glauben, müssten sie eigentlich den Jom Kippur nicht mehr halten. Viele messianische Juden sind der Meinung, dass die persönliche Schuld durch den Tod Jeschuas ein für alle mal vergeben ist, aber dennoch halten sie den Jom Kippur. Die wenigsten gehen dabei in eine lokale Synagoge. Die meisten treffen sich in der Gemeinde, mit der Familie oder in Hauskreisen zum gemeinsamen Fasten und Gebet. Dabei wird auch um Vergebung der einzelnen Sünden gebeten und gemeinsam Buße getan. Aber im Vordergrund steht das gemeinsame Gebet und Fasten für das eigene Volk, für Gottes Schutz, die Erfüllung seines Willens und auch für Erweckung. Was für eine gute Sache wäre es, gemeinsam in den Gemeinden an einem Tag im Jahr für unser Volk und unsere Gemeinden zu beten?

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